Thomas Reichstein

VON DER LUST DER BILDHAUEREI

Am Anfang war Dübelmasse -

Das ist nicht unbedingt das Material, welches man sich bei einem Zweiundzwanzig-jährigen, der sich plötzlich für Plastisches interessiert, erwartet. Dennoch, es machte Spaß. Genug, um mir dafür bei meiner universitären Zeichenlehrerin mehr Anleitungen zum Modellieren zu holen. Und ihre Aufgabe war heftig:
Selbstportrait in Plastilin, allein in der Kammer. Ich fühlte mich anspruchsvoll wie der junge Albrecht Dürer. Nur das Ergebnis war nicht so! Nach vielen Versuchen auch noch gleich eine kleine künstlerische Depression.

Damals dachte ich, das kann ja noch heiter werden. Zum Glück war es aber meine erste und letzte Depression. Dann entdeckte ich reichlich spät den Ton - ein herrlicher Freund für den Knetwilligen. Wenn dieses Material ein gutes Gerüst bekommt, bedankt es sich mit ungeheurer Flexibilität und bei entsprechender Feuchtigkeit mit durchgängiger Einsatzfreude.

Ganz anders der Gips; viel stabiler muß er allerdings immer wieder neu angerührt werden. Darum schätze ich ihn nun mehr als dauerhaftes Abformmaterial.

Je mehr ich plastisch arbeitete, desto staubiger wurde meine Wohnung. Also schnell einen großen Keller anmieten und selbstverständlich gleich lebensgroß daherkneten. Da es im Keller eben Kunstlicht braucht, störte mich die Nachtarbeit wenig. Tagsüber studierte ich ja das schöne Fach Landschafts-architektur. Damals wußte ich noch nicht, daß dies das beste künstlerische Grundlagenstudium in Dresden für mich war.

Glücklicherweise entdeckte ich alsbald die Plastikabendschule der Kunst-akademie. Nach genügend selbstbewußter Aufdringlichkeit durfte ich mitten im Semester dort einsteigen und erst einmal ganz akribisch Naturstudium betreiben.
Im Gegensatz zu meinen eher geometrisch-raumbildnerischen Ambitionen war nun Frucht- und Aktstudium angesagt. Durch diesen Widerspruch begriff ich schnell, die Emotion einer anatomischen Figur durch räumliche Grundformen auszudrücken. Mathematik und Anatomie ergaben erstaunlicherweise emotio-nalen Ausdruck. Mit wachsender Virtuosität konnte ich mehr und mehr ?aus dem Bauche heraus? arbeiten - für ein Wissenschaftlerkind ein wichtiges Thema.

Eine intensive Lehrzeit begann. Gleichzeitig Landschaftsarchitektur an der TU und Abendstudium Plastik an der Kunsthochschule - so eine Herausforderung freut den jungen Mann. Leistungsfreude entstand, welche mir hernach als Kunststudent sehr half.
Da ich ein Jahr später glücklicherweise Plastik studieren durfte, konnte ich diese Lernbegierde gut gebrauchen, denn im Kunststudium war kaum Druck von oben angesagt im Vergleich zur TU. Wer nicht selbst intensiv war, kam seinem Wesen nicht näher!

Ich freute mich über jedes Gestaltungsfach an der Kunstakademie. Gleichzeitig bezog ich eine Wohnung in der Dresdner Neustadt, in welcher ich lehrerunab-hängig lebensgroße Figuren modellierte. Später "besetzte" ich noch ein leeres Haus (jetzt Raskolnikov), um dort mit Kommilitonen auch zu schweißen und andere Materialien auszuprobieren. Da war diese spezielle Kreativenergie in der Neustadt. In meiner Nachbarschaft füllte Simon Schade Abrißhäuser mit überlebensgroßen Gipsfiguren. Nachts besuchte mich der verehrte Bildhauer Frank Maasdorf, um mir die wildesten Korrekturen und wichtige Underground-Anerkennungen zu geben. Ja, ja solche Bestätigung kann mich ganz schön euphorisch machen.

Ich möchte hier all meinen offiziellen und informellen Lehrern, die ich hatte und habe, von Herzen danken für ihre Geschenke!

Das Studium wurde zum Ende der DDR-Zeit hin immer freier. Da kam ein junger Heisig-Rektor und sprach im Radio. Jeder Student solle selbst entscheiden, wann und wo uns was er studieren wolle. Wunderbar! Ich nahm das Wunder wahr und durfte als Novum ein Semester lang die Metallgestaltung der Burg Giebichenstein bei Professor Irmtraudt Ohme belegen. Mein Professor Klaus Schwabe hatte glücklicherweise auch nichts dagegen und erwartete mich zum Diplom zurück. Ich konnte zwei verschiedenartige, intensive Lehrer eher akzeptieren als einen einzelnen. Ohne die beiden gegeneinander ausspielen zu müssen, bildeten sie für mich ergänzenden Pole.

In Halle gab es in der Metallabteilung der Burg Giebichenstein einen anderen plastischen Ansatz. Hier wurde Metall konstruktiv verarbeitet - der Tradition der Formgestaltungsschule entsprechend in der Bandbreite von der künstlerischen Figur bis hin zum kunsthandwerklichen Gebrauchsgegenstand.
Ja, und die vielen Fachbereiche! Neben der Malerei und Bildhauerei, meinen Metallgestaltungen und dann noch Schmuck, Keramik, Textil, Glas, Gebrauchsgrafik und die ganzen Formgestaltungsbereiche! Alles hatte seine Heimat in einer Mittelalterlichen Burg in meiner Heimatstadt!

Der Weg von der Wohnung zur Kunsthochschule ging an meinem Gymnasium, meiner Konfirmationskirche und meiner Initiationskneipe entlang. Und überall war rotes Porphyrgestein, dem meine Liebe gilt. Oh, welche Wurzeln . . .

Das nächste Geschenk war ein leerer Raum mit einem Punktschweißgerät darin. Zusammen mit diesem Wunderwerk der Technik entwickelte ich einen neuen Stil - die Raumzeichnung archaischer Gottformen mit Hilfe von verschweißtem Draht. Alles stimmte, ich machte los.
Es war ein besonderer Ort, eine besondere Zeit, eine klare Regelmäßigkeit. Ein Tag baute kreativ auf dem vorangegangenen auf. Ein paar dieser Drahtfiguren waren entstanden und ich bat Frau Prof. Ohme zur Korrektur. Doch leider hatte sie keine Zeit. So machte ich also unbeirrt weiter. Erst nach drei Wochen kam sie. Da war der Raum schon voll - und diese kritische, hochverehrte Lehrerin war es zufrieden! Die sogenannte Korrektur hatte eine neue Aufgabe zum Ergebnis. Eine der Arbeiten sollte ich nun in vier Meter Größe in Edelstahl ausführen.

Oh, Edelstahl! Feiner Draht wird zu kräftigen Rohren!
- Was für ein Gastsemester! -

Ich holte mir also mit der Eisenbahn und Tram die nötigen Rohre aus seltenstem DDR-Edelstahl vom Chemiehandel in Magdeburg ab. Mit Hilfe geduldiger technischer Lehrer schweißte ich diesen Vogelgott in der verbleibenden Zeit tatsächlich vollständig zusammen. Ich war beglückt über dieses neue Kunstwerk. Es war irgendwie ein Gemeinschaftsprodukt meiner Lehrer, meiner Vorfahren und von mir als ausführendem Medium. Im Sommer folgte noch ein Stahlsymposium mit drei großen Stahlrohrgestalten und dann ging es mit vollem LKW und einem Auftrag für eine Großplastik vor der Moritzburg in Halle zurück nach Dresden.

Das Diplom konnte kommen! Es wurde aber anders als geplant, denn es war Herbst 89. Statt Kunst zu machen, gingen wir auf die Straße. Es gibt solche Zeiten, wo man nicht im Atelier bleiben kann. Ich freue mich, daß meine Farben an der Dresdner Stasimauer nun unter Denkmalschutz stehen . . . . .

Mein Diplom geriet riesig groß aus Papprohren und war eher überdimensional als hohe Qualität. Ein Professor fand den Gips auf den Pappröhren toll. Da entdeckte ich erstmalig meinen Widerspruch zu bestimmten Kunstauffassungen.

Glücklicherweise fand ich in dieser Zeit in Dresden-Neustadt ein Haus zum Arbeiten und Wohnen und konnte mich auf die Zeit nach dem Studium freuen. Da war sie vorbei, die Zeit der direkten Lehrer und der direkten Grenzen! Nun aber hinaus . . .

Aber wohin?! Erst einmal ging ich nach Westeuropa. Das war ganz nett, aber nicht das, was ich suchte. Eher im Gegenteil - zu technisch. Glücklicherweise fand ich dort einen afrikanische Galerie in der auch Messingfiguren aus Ghana ausgestellt waren. So etwas kannte ich bisher nur aus dem Museum. Und nun gleich so ein Reichtum an Formenvielfalt - das konnte nicht alt sein. die Afrikaner Gießen diese Kunstwerke also heute noch und zwar in beneidenswerter Qualität und Kontinuität. Nach einigen Minuten traute ich mir einen neuen Entschluß zu: Da will ich hin !!

Zwei Jahre später hatte ich es endlich geschafft. Nach kurzer Suche entdeckte ich das Dorf, in dem die Ghanaer ihre Figuren aus Bienenwachs modellieren und dann in Messing umgießen. Ich fand gleich einen Lehrer, der mir zwei Wochen lang die Kniffe des Wachsmodellierens beibrachte. Wir hatten dabei viel Spaß miteinander. Ich freute mich über seine einfachen, klaren Methoden, um komplizierte Formen in Wachs aufzubauen - und er über meine jahrelang geschulte räumliche Auffassungsgabe. Der Prozeß floß uns so leichtläufig durch die Hände, daß er mich schon nach zwei Wochen zum Ashanti-goldweight-master erklärte. Ich dankte für die hohe Ehre und konnte mit den eigenen Kreationen beginnen.

Stilistisch setzte ich bei den Drahtplastiken aus Halle an. Damit hatte ich einen reichen vorgearbeiteten Formenschatz, welchen ich nun mit Wachs in neue Dimensionen führte. Gleichzeitig war ich von afrikanischer Flora und Fauna umgeben und stand unter inspirativem Einfluß des Dorfes. Ebenso beschenkten mich die sehr produktiven afrikanischen Kollegen mit einer ungewöhnlich hohen Konzentrationsfreudigkeit. Es ist mir ein Genuß, mit schöpferischer Tätigkeit meinen Hafen in der Fremde zu definieren. Unter Kollegen und Freunden fühle ich mich auf jedem Kontinent gleich sehr heimisch.

Die mit Bienenwachs erreichbare Formenvielfalt ist mir seitdem zur ständigen Begeisterung geworden. Es gelingt mir, mit Wachs sehr spontan direkt in den Raum zu skizzieren. In einer Mischung aus Formenfreiheit und Gravitation entstehen meine neuen archaischen Formen unter dem Mangobaum in Ghana.

Nach öfterem Wiederholen meiner modellierfreudigen Ghanaaufenthalte wagte ich mich 1995 gemeinsam mit einer Freundin an die Verwirklichung eines weiteren Traumes. Wir brachen auf zu einem Arbeitsaufenthalt nach Papua-Neuguinea in die Südsee. Schon lange liebte ich die Holzskulpturen aus Ozeanien, welche ich in den Depots und Ausstellungen der Völkerkundemuseen in Dresden und Berlin öfter bewundern konnte. Dort wählte ich auch die Stilrichtung aus, welche meiner Kunstauffassung am nächsten stand.

Zu meinem großen Glück wohnen die Stämme, welche die Malanganschnitzerei ausführen, auf der paradiesischen Insel Neu-Irland im Bismarck-Archipel. Dort fanden wir sehr schnell einen Altmeister des Malanganschnitzens, bei dem wir in die Lehre gehen konnten. Mein Ziel war diesmal, die vorhandene Tradition zu akzeptieren und zu verinnerlichen. Die sechs Holzmasken und Friese, welche ich in dieser Zeit schuf, sind daher auch sehr zurückhaltend von mir interpretiert worden. Hierbei wurde ich von der Formenvielfalt und der spirituellen Kraft der Malanganbildhauerei mit ihren Tier-, Pflanzen- und Menschenkombinationen stark beeindruckt.

Basierend auf den Eindrücken aus Ozeanien wuchsen mir später in der Schloßküche von Pillnitz die Rattan-Tapa-Plastiken aus den Händen. Gespeist wurde ich von der Erfahrung mit den Drahtplastiken aus Halle sowie dem in Westafrika und der Südsee aufgebauten Fundus an bildhauerischen und spirituellen Erfahrungen.

Durch die ausgeglichene Ruhe im Schloss am Fluss und direktes Arbeiten an und in der Elbe bekam ich mehr Kontakt zu meinen eigenen Wurzeln. Dieser Vorgang ist in den Plastiken deutlich nachzuempfinden. Mit Feuer bog ich die Rattanstäbe und kühlte sie zum Erhalt der neuen Form direkt im Wasser der Elbe. Dabei erhielt ich viele Anregungen zum Zeitfluß besonders an diesem historischen Ort. Die Technik Tapa auf Rattan ist angeregt durch die Baining-Plastiken aus Papua-Neuguinea.

Meine zur Zeit letzte umfassendere Arbeitsphase - die amorphen, schwingenden Bronzen von Thailand - begann schon vor dem Studium mit der Plastik ?Atlantik?, damals eine Einzelerscheinung. 1997 entstanden in Ghana aus massivem Bienenwachs drei stilistisch ähnliche Ozeane - der "Pazifik", der "Indik" sowie "Atlantis". Leider ist Atlantis beim Metallguß in Dresden verloren gegangen. Nun endlich kombinierten sich mehrere Faktoren synergetisch zu einer Einheit. Gemeinsam mit meiner Lebensgefährtin hatte ich nach drei Wochen in Thailand zwei wunderbare traditionelle Gießereien gefunden. Während unseres Aufenthaltes fanden wir an der Küste des Andamanischen Meeres einen stillen Ort, wo ich neue Arbeiten modellieren konnte. Zuvor hatten wir in Thailand Orte der tiefgehenden Entspannung finden können. So entstand wieder jene leichtläufige Arbeitsatmosphäre, wo in komprimierter Zeit monatelange Inspirationsprozesse in künstlerische Realität übertragen werden!

In allerjüngster Zeit erfährt meine kontinentale Verknüpfung eine neue Ausformung. Figuren, welche ich in Afrika entwickelte überarbeite und vergrößere ich in Thailand gemeinsam mit einheimischen Kollegen. Dabei sind an guten Tagen alle Beteiligten von der neuen Ausdruckskraft überrascht.

Die Zukunft ist ein offener Weg -

Ich freue mich auf weitere Entdeckungen -

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